Beziehungen

im Autismus-Spektrum

Wenn es um das Thema „Beziehungen“ geht, so ist es schwierig, etwas zu sagen, das für alle Menschen mit Autismus gilt. Da es sich um ein Spektrum handelt, sind autistische Menschen so verschieden wie alle Menschen jeweils unterschiedlich sind. Die Äußerungen im Folgenden beziehen sich eher auf „Asperger“, da ich mich aufgrund eigener Diagnose hier besser auskenne.

Ein roter Faden zum Thema „Beziehungen“ (und zu vielen anderen Themen) besteht darin, dass sich im Kopf von „Aspies“ sehr viel abspielt in dem Sinn, dass viele Dinge gleichzeitig stattfinden: Geräusche, Musik, Gedanken u.v.m. erfolgen neben- und miteinander. Allein dies zu bewältigen, erfordert große Anstrengung. Jede zusätzliche sensorische Wahrnehmung stellt eine weitere Herausforderung dar. Dazu zählen Berührungen, Gerüche, Töne usw. Wird es zu viel, so vermischt sich alles zu einem Brei und wird zu einer Art „Nebel im Kopf“. Noch eine Vielzahl weiterer Faktoren spielen eine Rolle, doch auf dem Hintergrund des bereits Beschriebenen wird nachvollziehbar, inwiefern sich „Beziehungen“ für autistische Menschen bzw. mit ihnen besonders gestalten. Dabei sei von vornherein festgestellt, dass Autistinnen und Autisten Gefühle haben und auch empathiefähig sind. Sie haben eine Sehnsucht nach Freundschaft, Nähe und Liebe. Allerdings tun sie sich schwer mit dem Zugang zu den eigenen Gefühlen und sie erfassen schwer die Gefühle anderer – insbesondere, solange diese nicht klar zu erkennen sind. Drückt ein Gegenüber aber seine / ihre Gefühle aus oder gibt sie eindeutig zu erkennen, so kann z.B. ein Asperger geradezu vor Empathie explodieren und würde alles tun, um dem Andern / der Anderen zu helfen oder irgendwie zur Seite zu stehen. Gefühle anderer frühzeitig zu erkennen bzw. angemessen darauf zu reagieren, gelingt Aspergern allerdings eher nicht. Zudem haben sie meist wenig Gespür für die Konsequenzen eigener Worte oder ihres eigenen Handelns. „Perspektivübernahme“, sich in eine andere Person hineinversetzen zu können, gelingt nur bedingt. Dies in Kombination mit einer gewissen "Kontextblindheit" kann zu zahlreichen Missverständnissen und Konflikten führen. 

Hinzu kommt ein durch lebenslange Erfahrung genährtes Misstrauen. Von Geburt an fühlen sich autistische Menschen fremd in dieser Welt. Da sie ihre je eigene Wahrnehmung haben, sensorische Eindrücke nicht wie bei anderen Menschen gefiltert werden und ein „sozialer Autopilot“ sich nicht oder weniger entwickelt, orientiert man sich an „Drehbüchern“, an „Skripten“. Es wird genau beobachtet, wie sich andere Menschen (Eltern, Geschwister, Personen in Filmen …) in bestimmten Situationen verhalten, dies wird abgespeichert und je nach Bedarf in Sekunden oder Sekundenbruchteilen abgerufen. So kommt manch ein autistischer Mensch, wenn es um Kontaktaufnahme geht, recht unbeholfen daher. Stimmt mein Skript? Was muss ich jetzt machen? Vielleicht ist es falsch. Ich muss mir sofort Skripte für die nächsten fünf möglichen Situationen her suchen. Manchmal wird dieses Grundgefühl der Unsicherheit kompensiert durch einen Hang zu Kontrolle und Perfektionismus. Da bei Beziehungen auch Emotionen im Spiel sind, kann es schnell zu der Befürchtung kommen: „Das wird eine Katastrophe.“ („Katastrophisieren“ zählt ebenfalls zu den Merkmalen autistischer Menschen.) Wenn sich normale, „neurotypische“, Personen zudem je nach Situation unterschiedlich verhalten, wird dies von Menschen mit Autismus schnell als widersprüchlich oder gar unehrlich aufgefasst. Im Vergleich dazu werden Tiere als ehrlich empfunden und tun autistischen Menschen oft gut.

Die Fragen: „Meint mein Gegenüber es ehrlich?“ und: „Was muss ich jetzt tun?“ sind wesentlich in der sozialen Interaktion und begleiten jede Beziehung – zumindest so lange, bis das Vertrauen genug gewachsen ist, um mehr und mehr zueinander finden zu können. Hinzu kommt aufgrund der ständigen Höchstleistung durch die zu bewältigende Fülle im Kopf noch das Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten, einem eigenen Raum, nach Abgeschiedenheit. Dies verstärkt sich, wenn ein Mensch mit Autismus eine Situation so empfindet, als würde Druck auf ihn ausgeübt.  

Dennoch sind Autisten wie alle anderen auch höchst liebenswerte Menschen und erfüllte Beziehungen mit ihnen sind möglich. Doch in einer Beziehung mit einem autistischen Menschen kann ein Mann, eine Frau immer wieder das Gefühl haben, einsam zu sein. Rituale für’s Zusammensein können hier helfen. Ehrlichkeit und klarer Ausdruck von Gefühlen sind ebenfalls wichtig, begleitet von verlässlicher und möglichst eindeutiger Kommunikation. Vertrauensbruch hingegen wirkt katastrophal. Wenn die Beziehung aber gelingt, so glänzt der autistische Partner, die autistische Partnerin durch ein hohes Maß an Verlässlichkeit, Treue, Aufrichtigkeit und Loyalität. Machtkämpfe spielen kaum eine Rolle, Gerechtigkeit hingegen schon.

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