Schule und Unterricht

Autistinnen und Autisten fördern und begleiten

Ohne Zweifel stellt das Thema „Schule und Unterricht“ eine besondere Herausforderung dar. 

Welche Schule ist die richtige oder passende für einen autistischen Menschen? Eine für alle richtige Empfehlung kann es hier nicht geben, denn es kommt auf den Einzelfall an. Manche Schulen nehmen autistische Kinder und Jugendliche selbstverständlich auf und haben einiges an Erfahrung im Umgang mit ihnen. Das können private Einrichtungen sein oder auch Regelschulen, die sich dem Anspruch „Inklusion“ verpflichtet fühlen. Wichtig sind eine möglichst genaue Diagnose und das Gespräch mit allen Beteiligten: Schulleitung, Jugendamt, Schulsozialarbeit, Eltern und Kinder/Jugendliche. In regelmäßigen Hilfeplangesprächen wird die Situation besprochen und werden Perspektiven überlegt. Wenn es um die Regelschule geht, stellt „Schulbegleitung“ ein hilfreiches Angebot dar. Das Jugendamt stellt hierfür Mittel zur Verfügung. 

In der Schule gilt das gleiche wie zu Hause auch: Es müssen individuelle Anpassungen der Lernumgebung vorgenommen werden. Die Umwelt muss mal mehr, mal weniger an die Bedürfnisse des Menschen angepasst werden und nicht andersherum. Dies kann von der Raumgestaltung (Ruhezone/Ecke/Bereich, ein fester, geeigneter Sitzplatz, an dem die Tafel möglichst wenig spiegelt, LED- Beleuchtung) bis hin zu passender Struktur und klar verständlicher Kommunikation und Interaktion reichen. Ebenso wichtig ist die geeignete, übersichtliche Darstellung und Darbietung von Material und Aufgabenformaten, in denen sich die Schüler*innen gut selbständig orientieren können. Hier ist weniger oft mehr.

Im Unterricht selbst kommt es für Lehrkräfte und Schulbegleitungen darauf an, die richtige Balance zu finden: Wieviel kann in der jeweiligen Situation gefordert werden und wann ist es Zeit für eine Unterbrechung? Wenn zu viel auf das autistische Kind einströmt oder die Ansprüche als zu großer Druck empfunden werden, kann dies zu Reizüberflutung und „Dichtmachen“ (Shutdown) bzw. „Explodieren“ (Meltdown, Overflow) führen. Rückzugmöglichkeiten sind wichtig. Ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt: Weitermachen oder Rückzug z.B. in einen Ausweichraum oder in einen „Raum der Stille“? ist wesentlich.

Regelmäßig und rechtzeitig Erholungsphasen und echte Pausen zu machen, ist essentiell wichtig für autistische Menschen. (Zusätzliche bzw. verlängerte) Pausen sind kein Privileg, sondern eine absolute Notwendigkeit. Manchmal ist auch hierbei Unterstützung nötig, wann, wie und wo Pause im schulischen Kontext sinnvoll gestaltet werden kann. Ein chaotischer, lauter Pausenhof ist ein sensorischer Albtraum und im besten Fall eine Zumutung, jedoch keine Pause. Schüler*innen im Autismus-Spektrum sollten niemals gezwungen werden, ihre Pause auf dem Pausenhof zu verbringen. Doch wenn sie das Pausenhofangebot annehmen, sollten sie immer die Möglichkeit haben, diesen zu verlassen und sich in einen geschützten Raum zu begeben (zum Beispiel Klassenzimmer oder Schulbücherei), um ihre Pause anders zu gestalten. 

Im Unterricht klappt manchmal alles supergut, manchmal läuft gar nichts. Manchmal nehmen die Schüler die pädagogischen Angebote an und nutzen diese für sich, manchmal lehnen sie diese (ohne erkennbaren Grund) ab. Oft gelingt es nicht, die Schüler zu motivieren oder ein passenderes Lernangebot für diese zu finden. In dem Moment kann der Schüler, die Schülerin das Angebot einfach nicht annehmen oder für sich nutzen. Es ist entscheidend, dies weder persönlich zu nehmen noch persönlich zu reagieren. Immer wieder muss man sich selbst klar machen: Der Schüler, die Schülerin ist nicht widerspenstig, unerzogen, verwöhnter kleiner Prinz oder verwöhnte kleine Prinzessin, sondern er bzw. sie kann einfach nicht anders. Darum müssen Lehrkräfte unbedingt über die Diagnose informiert sein und auch Kenntnisse zum Thema „Autismus“ haben, z.B. durch Fortbildungen. Wenn ein Kind von der Lehrerin oder dem Lehrer empfangen wird mit den Worten: „Schau mich an, wenn ich mit dir rede“, dann darf man gleich skeptisch sein. Für Menschen mit Autismus ist Blickkontakt schwierig. Ähnliches gilt für Berührungen, v.a., wenn sie unerwartet erfolgen, sowie für Gerüche oder Sprechen zu dicht am Kind. Es geht nicht einfach darum, dass es irgendwie unangenehm wäre, sondern all dies kann von der autistischen Schülerin, dem autistischen Schüler als schmerzvoll wahrgenommen werden, als Brennen auf der Haut (Berührungen) oder Explosionen im Kopf (zu nahe Stimme, Geruch, flackerndes Licht …). Ein grundsätzlich wertschätzender, verständnisvoller Umgang schafft Vertrauen und baut Ängste ab. Eine reflektierte, strukturierte, emotional stabile Lehrkraft hilft allen Schüler*innen, sich in ihrem eigenen Lerntempo zu entwickeln und jeweils passende Lernangebote zu finden, die diese auch annehmen können.

Struktur, Rituale, Konsequenz sowie eine positive Fehlerkultur sind wichtig, aber mit Druck und/oder Zwang zu arbeiten, ist nicht konstruktiv und hat unzählige negative Auswirkungen auf die sozial-emotionale Entwicklung der Schüler*innen (Schulangst, Schlafstörungen, Depressionen, Angststörungen etc.).

Vor die Klasse treten zu müssen, beispielsweise, um sich vorzustellen oder eine Präsentation zu halten, kann  besonders herausfordernd sein. Zu Beginn in einer fremden Klasse ist dies nahezu unmöglich. Es braucht Vertrauen und ein Gefühl der Geborgenheit im gesamten Setting. Wenn es dann aber doch möglich wird, kann es vorkommen, dass der Schüler, die Schülerin vorne steht und zunächst einmal etwas Zeit braucht, bevor er oder sie mit dem Reden beginnen kann. Gerade dann ist es wichtig, keinen Druck auszuüben. Für fast sämtliche Lebenssituationen gilt dies: Druck macht ruhiges Denken und Fühlen für autistische Menschen nahezu unmöglich.

Natürlich spüren die anderen Schülerinnen und Schüler, dass der autistische Mitschüler bzw. die autistische Mitschülerin „besonders“ ist. Manchmal werden die autistischen Kinder bzw. Jugendlichen dann ausgegrenzt, gar gemobbt. Da sie tendenziell alles wörtlich nehmen und auch glauben, können sie zudem leicht ausgenutzt oder instrumentalisiert werden. Lehrkräfte sollten darum ein besonderes Auge für solche Situationen haben (und sowohl schützend als auch vermittelnd eingreifen) und unter Einbeziehung der Eltern die Schülerinnen und Schüler wie auch das Lehrerkollegium über die Besonderheiten von Autismus informieren.

Grundsätzlich gilt: Je früher die Diagnose erfolgt und die Eltern ihr uneingeschränktes „Ja“ zu ihrem autistischen Kind geben können, umso früher können passende Hilfsangebote, Beratungsgespräche, Suche nach der geeigneten Kita bzw. Schule angegangen werden. Übrigens: Eltern sollten sich nicht scheuen, ihr Kind einem Pflegegrad zuordnen zu lassen. Das ist kein Grund zur Scham und auch kein Makel, sondern öffnet Möglichkeiten zu weiterer Unterstützung, auch finanziell. Jedwede Unterstützung in Anspruch zu nehmen, ist kein Ausdruck von Versagen oder Schwäche, sondern ein Recht.

Damit Inklusion gelingen kann und echte Teilhabe möglich wird, braucht es ein ganzes Team aus belastbaren Eltern (bzw. einer Bezugsperson, die den Spagat zwischen Schützen und Fordern meistert), offenen, wohlwollenden, reflektierten, kreativen Pädagogen mit viel Idealismus und Geduld, einen kompetenten Kinder- und Jugendpsychiater oder -psychologen, lösungsorientierte, kooperative Jugendamtsmitarbeiter und eine gelassene, geduldige und flexible Schulbegleitung

Alle, die besondere Menschen ein Stück auf ihrem Weg begleiten, sind mutige Heldinnen und Helden des Alltags und ihnen sei von Herzen gedankt.

 

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