Familie

& Alltagsgestaltung

Die Grundfrage: Wie muss die Umgebung gestaltet sein, dass sie den Bedürfnissen des autistischen Kindes gerecht wird? stellt sich mit Blick auf das Leben daheim mit großer Vehemenz. Dabei ist natürlich klar, dass nicht unbegrenzt Möglichkeiten für alle Familien zur Verfügung stehen. Man muss mit dem umgehen, was man hat: kleine Wohnung oder eigenes Haus? Möglichkeiten, Haustiere zu halten? usw.

Doch zunächst gilt, was generell für das Leben in der Familie wichtig ist: klare Regeln, die schlüssig begründet und ohne Schnörkel kommuniziert werden. Dies ist keine Erfolgsgarantie und gelingt oft genug auch nicht, dennoch ist es wichtig, sich immer wieder darauf zu besinnen. Geregelte Abläufe und Rituale sind ebenfalls hilfreich. Abweichungen sollten wenn möglich vorher angekündigt werden, um dem Kind Zeit zu geben, sich darauf einzustellen. Müssen Termine eingehalten werden, etwa der Gang zur Schule oder zur Ärztin, so wirkt es unterstützend, wenn bereits einige Zeit vorher darauf hingewiesen wird: In 20 (15, 10 …) Minuten müssen wir losgehen. Es kann auch ein visueller Timer (TimeTex oder Alexa) entsprechend eingestellt werden als rechtzeitiges visuelles und akustisches Signal. Dinge des Alltags fallen leichter, wenn alles ohne Hektik oder Druck vorbereitet werden kann. Rückzugmöglichkeiten sind auch zu Hause wichtig. Hat das autistische Kind ein eigenes Zimmer, bietet sich dies als Rückzugsort an. Ebenfalls in Ordnung ist es, wenn das Kind sich unter das Sofa oder unter den Tisch legt, sich in eine Ecke zwischen Möbeln zurückzieht, sich gar in einen Schrank setzt oder eine Therapieschaukel nutzt. Besonders schwierig wird es, wenn das Kind oder der/die Jugendliche aufgrund Überreizung ausrastet (Meltdown, Overload), dabei um sich schlägt und Dinge zerstört. Man wird dann versuchen, ihn/sie festzuhalten, aber letztlich bleibt stets ein Gefühl großer Hilflosigkeit und Verunsicherung. 

Für Geschwister kann es schwierig sein, mit der Besonderheit ihrer Schwester, ihres Bruders umzugehen. Der Wahrnehmung: „Er oder sie wird ständig bevorzugt, braucht besondere Rücksichtnahme“ usw. lässt sich nur schwer etwas entgegensetzen. Dennoch kann man versuchen, die Lage so gut als möglich zu erklären. Häufig ist es nun einmal wichtig für ein autistisches Kind, immer am selben Platz sitzen zu können, auch im Auto, oder nur bestimmte Speisen zu sich zu nehmen, ausgewählte Kleidungsstücke anziehen zu können usw. Oft erntet man Kritik für seinen Erziehungsstil und wird mit Erwartungen der Umwelt konfrontiert. Dass Eltern sich dann verunsichert fragen: Verwöhne ich mein Kind zu sehr? Nehme ich zu viel Rücksicht? usw. ist allzu verständlich. Die rechte Balance zwischen „Fordern“ und „Fördern“ zu finden, ist nicht einfach. Es gilt aber auch im privaten die Umwelt an den Menschen anzupassen. Dies bedeutet nicht, dass alles einfach nur hingenommen werden muss und sich das Leben der Familie ausschließlich, um das autistische Kind drehen sollte. Vielmehr geht es darum auch hier Teilnahme zu ermöglichen, indem der Mensch mit all seinen Bedürfnissen und Besonderheiten gesehen und angenommen wird. Erziehung im klassischen Verständnis zielt auf Veränderung, auch Lernen ist Veränderung und letztlich ist Leben Veränderung, dem entkommt niemand, auch nicht der autistische Mensch. Lernen gelingt nur, wenn die grundlegenden Bedürfnisse (siehe Maslows Bedürfnispyramide) erfüllt sind. Damit das autistische Kind sich auf diese "natürlichen" (Lern-) Prozesse einlassen kann und sich in eigenem Tempo weiterentwickelt ist eine sichere, stabile Umgebung und vor allem eine Bezugsperson, die in der Erscheinung und im Verhalten konstant und berechenbar ist (falls nötig, die gleiche Frisur trägt und die gleiche Kleidung : ) wichtig. 

Natürlich wünschen Eltern, dass ihr Kind eines Tages selbständig im Leben zurechtkommt, dass zumindest Toilettengänge, Körperhygiene und Basics im Verhalten gegenüber anderen kein Problem darstellen. Hierzu findet sich einiges an Literatur, auch für Jugendliche. Und sicher können Schule, Berufsabschluss usw. für viele gelingen. Doch Vorsicht: Das Drängen auf Funktionieren kann auch zu einem „dressierten“ Kind führen, das sich ein Leben lang versteckt (Masking), sich selbst nie gerecht wird und sein Leben wie einen Film erfährt, bei dem es zuschaut. Autistische Kinder sind extra sensibel und schutzbedürftig. Sie sind besonders anfällig dafür "komorbide Störungen", wie Depressionen, geringes Selbstwertgefühl, Perfektionismus, Angststörungen, Schlafstörungen, neurotische Verhaltensweisen (z.B. Kontrollzwänge, Essstörungen), selbstverletzendes Verhalten usw. zu entwickeln.

Es handelt sich eben um ein „Spektrum“ und es gibt Kinder, die sehr sehr lange Unterstützung brauchen, auf eine beschützende Werkstätte angewiesen oder nur schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Sicher gibt es Bücher, in denen über Mozart, Einstein, Elon Musk und andere als Autisten informiert wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass „mein Kind“ zu einem Mozart, Einstein oder Musk wird. Und sog. „Savants“ wie „Rainman“ gibt es nur ganz wenige auf der Welt. Darum ist die möglichst genaue Diagnose so hilfreich, verbunden mit der Frage: Was braucht mein Kind, damit es jetzt gut leben und  sich entwickeln kann? 

Autismus wird manchmal beschrieben als eine besondere Form der Kommunikation (so z.B. bei Iris Johansson, s. Literaturverzeichnis). Menschen mit Autismus machen uns darauf aufmerksam, wie missverständlich und vieldeutig unsere Kommunikation im Alltag sein kann. Für Eltern und Betreuungspersonen ist es wichtig, in Gegenwart des autistischen Kindes sehr präsent zu sein, um zu spüren, was das Kind gerade braucht. Immer wieder kann es sogar geschehen, dass sich für kurze Zeit ein direkter Zugang zum Kind öffnet. Solche Momente sind sehr wertvoll, weil in diesen Augenblicken gegenseitiges Verstehen möglich wird. Kontakt zu Tieren kann eine wichtige Brücke zwischen den Welten darstellen, denn Tiere kommunizieren auf eigene Weise: Ein Hund freut sich, wenn das Kind nach Hause kommt, egal ob es groß oder klein ist, dick oder dünn, es eine „eins“ oder eine „fünf“ von der Schule bringt, die Eltern arm oder reich sind … Menschen sind da anders.

 

 

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